Nachtgesänge

IPA-Lautschrift des Titels des wohl bekanntesten Gedichtes Hölderlins auf die, sich einwärts knospende Fibonacci-Kurve gelegt. Hier soll auf eines der vielfältigen Sprach- und Klangbilder gewiesen werden. Das erste „e“ im Wort „Lebens“ ist ein etwas länger gehaltenes, gespanntes „e“, in „des“ klingt derselbe Buchstabe in seiner gespannten Artikulation wie das „ä“ in „Hälfte“ und das „e“ am Ende von ‚Hälfte“ klingt auf eine dritte Weise, als Ablaut „Schwa“. Ein Zeichen – drei Klänge.

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Zum Einstieg in dieses Hochgebirge der hölderlinschen Poesie eignet sich durchaus der Eintrag in der deutschen Wikipedia.

Wer Walter Benjamins Gedanken zu „Blödigkeit“ verfolgen möchte, hat hier die Gelegenheit dazu.

Weitere Links:

YouTubeChannel Hölderlin-Beethoven 2020

Nachtgesänge, Friedrich Hölderlin

Stephan Jaeger, Stefan Willer ; Das Denken der Sprache und die Performanz des Literarischen um 1800

Ton van der Steenoven ; Eine Analyse von Hölderlins „Nachtgesängen“

Meine eigene form-metrische Betrachtung als 30 seitiges PDF findet sich hier.

Dier hier wiedergegebenen Texte stammen von Zeno.org und sind in ihrer Orthographie und Interpunktion nicht immer kritisch oder korrekt. Nur an ganz wenigen Stellen wurde von mir eingegriffen (z.B. wurde der Punkt nach „unmündig“ im letzten Gedicht entfernt.)


Chiron
Tränen
An die Hoffnung
Vulkan
Blödigkeit
Ganymed
Hälfte des Lebens
Lebensalter
Der Winkel von Hardt

Chiron

Wo bist du, Nachdenkliches! das immer muß
Zur Seite gehn, zu Zeiten, wo bist du, Licht?
Wohl ist das Herz wach, doch mir zürnt, mich
Hemmt die erstaunende Nacht nun immer.

Sonst nämlich folgt’ ich Kräutern des Walds und lauscht’
Ein waiches Wild am Hügel; und nie umsonst.
Nie täuschten, auch nicht einmal deine
Vögel; denn allzubereit fast kamst du,

So Füllen oder Garten dir labend ward,
Ratschlagend, Herzens wegen; wo bist du, Licht?
Das Herz ist wieder wach, doch herzlos
Zieht die gewaltige Nacht mich immer.

Ich wars wohl. Und von Krokus und Thymian
Und Korn gab mir die Erde den ersten Straus.
Und bei der Sterne Kühle lernt’ ich,
Aber das Nennbare nur. Und bei mir

Das wilde Feld entzaubernd, das traur’ge, zog
Der Halbgott, Zevs Knecht, ein, der gerade Mann;
Nun siz’ ich still allein, von einer
Stunde zur anderen, und Gestalten

Aus frischer Erd’ und Wolken der Liebe schafft,
Weil Gift ist zwischen uns, mein Gedanke nun;
Und ferne lausch’ ich hin, ob nicht ein
Freundlicher Retter vieleicht mir komme.

Dann hör’ ich oft den Wagen des Donnerers
Am Mittag, wenn er naht, der bekannteste,
Wenn ihm das Haus bebt und der Boden
Reiniget sich, und die Quaal Echo wird.

Den Retter hör’ ich dann in der Nacht, ich hör’
Ihn tödtend, den Befreier, und drunten voll
Von üpp’gem Kraut, als in Gesichten,
Schau ich die Erd’, ein gewaltig Feuer;

Die Tage aber wechseln, wenn einer dann
Zusiehet denen, lieblich und bös’, ein Schmerz,
Wenn einer zweigestalt ist, und es
Kennet kein einziger nicht das Beste;

Das aber ist der Stachel des Gottes; nie
Kann einer lieben göttliches Unrecht sonst.
Einheimisch aber ist der Gott dann
Angesichts da, und die Erd’ ist anders.

Tag! Tag! Nun wieder athmet ihr recht; nun trinkt,
Ihr meiner Bäche Weiden! ein Augenlicht,
Und rechte Stapfen gehn, und als ein
Herrscher, mit Sporen, und bei dir selber

Örtlich, Irrstern des Tages, erscheinest du,
Du auch, o Erde, friedliche Wieg’, und du,
Haus meiner Väter, die unstädtisch
Sind, in den Wolken des Wilds, gegangen.

Nimm nun ein Roß, und harnische dich und nimm
Den leichten Speer, o Knabe! Die Wahrsagung
Zerreißt nicht, und umsonst nicht wartet,
Bis sie erscheinet, Herakles Rückkehr.
Tränen

Himmlische Liebe! zärtliche! wenn ich dein
Vergäße, wenn ich, o ihr geschicklichen,
Ihr feurgen, die voll Asche sind und
Wüst und vereinsamet ohnedies schon,

Ihr lieben Inseln, Augen der Wunderwelt!
Ihr nämlich geht nun einzig allein mich an,
Ihr Ufer, wo die abgöttische
Büßet, doch Himmlischen nur, die Liebe.

Denn allzudankbar haben die Heiligen
Gedienet dort in Tagen der Schönheit und
Die zorngen Helden; und viel Bäume
Sind, und die Städte daselbst gestanden,

Sichtbar, gleich einem sinnigen Mann; itzt sind
Die Helden tot, die Inseln der Liebe sind
Entstellt fast. So muß übervorteilt,
Albern doch überall sein die Liebe.

Ihr weichen Tränen, löschet das Augenlicht
Mir aber nicht ganz aus; ein Gedächtnis doch,
Damit ich edel sterbe, laßt ihr
Trügrischen, Diebischen, mir nachleben.
An die Hoffnung

O Hoffnung! holde! gütiggeschäftige!
Die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst,
Und gerne dienend, Edle! zwischen
Sterblichen waltest und Himmelsmächten,

Wo bist du? wenig lebt ich; doch atmet kalt
Mein Abend schon. Und stille, den Schatten gleich,
Bin ich schon hier; und schon gesanglos
Schlummert das schaudernde Herz im Busen.

Im grünen Tale, dort, wo der frische Quell
Vom Berge täglich rauscht, und die liebliche
Zeitlose mir am Herbsttag aufblüht,
Dort, in der Stille, du Holde, will ich

Dich suchen, oder wenn in der Mitternacht
Das unsichtbare Leben im Haine wallt,
Und über mir die immerfrohen
Blumen, die blühenden Sterne, glänzen,

O du des Aethers Tochter! erscheine dann
Aus deines Vaters Gärten, und darfst du nicht,
Ein Geist der Erde, kommen, schröck, o
Schröcke mit anderem nur das Herz mir.
Vulkan

Jetzt komm und hülle, freundlicher Feuergeist,
Den zarten Sinn der Frauen in Wolken ein,
In goldne Träum und schütze sie, die
Blühende Ruhe der Immerguten.

Dem Manne laß sein Sinnen, und sein Geschäft,
Und seiner Kerze Schein, und den künftgen Tag
Gefallen, laß des Unmuts ihm, der
Häßlichen Sorge zu viel nicht werden,

Wenn jetzt der immerzürnende Boreas,
Mein Erbfeind, über Nacht mit dem Frost das Land
Befällt, und spät, zur Schlummerstunde,
Spottend der Menschen, sein schröcklich Lied singt,

Und unsrer Städte Mauren und unsern Zaun,
Den fleißig wir gesetzt, und den stillen Hain
Zerreißt, und selber im Gesang die
Seele mir störet, der Allverderber,

Und rastlos tobend über den sanften Strom
Sein schwarz Gewölk ausschüttet, daß weit umher
Das Tal gärt, und, wie fallend Laub, vom
Berstenden Hügel herab der Fels fällt.

Wohl frömmer ist, denn andre Lebendige,
Der Mensch; doch zürnt es draußen, gehöret der
Auch eigner sich, und sinnt und ruht in
Sicherer Hütte, der Freigeborne.

Und immer wohnt der freundlichen Genien
Noch Einer gerne segnend mit ihm, und wenn
Sie zürnten all, die ungelehrgen
Geniuskräfte, doch liebt die Liebe.
Blödigkeit

Sind denn dir nicht bekannt viele Lebendigen?
Geht auf Wahrem dein Fuß nicht, wie auf Teppichen?
Drum, mein Genius! tritt nur
Bar ins Leben, und sorge nicht!

Was geschiehet, es sei alles gelegen dir!
Sei zur Freude gereimt, oder was könnte denn
Dich beleidigen, Herz, was
Da begegnen, wohin du sollst?

Denn, seit Himmlischen gleich Menschen, ein einsam Wild,
Und die Himmlischen selbst führet, der Einkehr zu,
Der Gesang und der Fürsten
Chor, nach Arten, so waren auch

Wir, die Zungen des Volks, gerne bei Lebenden,
Wo sich vieles gesellt, freudig und jedem gleich,
Jedem offen, so ist ja
Unser Vater, des Himmels Gott,

Der den denkenden Tag Armen und Reichen gönnt,
Der, zur Wende der Zeit, uns die Entschlafenden
Aufgerichtet an goldnen
Gängelbanden, wie Kinder, hält.

Gut auch sind und geschickt einem zu etwas wir,
Wenn wir kommen, mit Kunst, und von den Himmlischen
Einen bringen. Doch selber
Bringen schickliche Hände wir.
Ganymed

Was schläfst du, Bergsohn, liegest in Unmut, schief,
Und frierst am kahlen Ufer, Gedultiger!
Denkst nicht der Gnade du, wenns an den
Tischen die Himmlischen sonst gedürstet?

Kennst drunten du vom Vater die Boten nicht,
Nicht in der Kluft der Lüfte geschärfter Spiel?
Trifft nicht das Wort dich, das voll alten
Geists ein gewanderter Mann dir sendet?

Schon tönets aber ihm in der Brust. Tief quillts,
Wie damals, als hoch oben im Fels er schlief,
Ihm auf. Im Zorne reinigt aber
Sich der Gefesselte nun, nun eilt er,

Der Linkische; der spottet der Schlacken nun,
Und nimmt und bricht und wirft die Zerbrochenen
Zorntrunken, spielend, dort und da zum
Schauenden Ufer und bei des Fremdlings

Besondrer Stimme stehen die Herden auf,
Es regen sich die Wälder, es hört tief Land
Den Stromgeist fern, und schaudernd regt im
Nabel der Erde der Geist sich wieder.

Der Frühling kömmt. Und jedes, in seiner Art,
Blüht. Der ist aber ferne; nicht mehr dabei.
Irr ging er nun; denn allzugut sind
Genien; himmlisch Gespräch ist sein nun.
Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Lebensalter

Ihr Städte des Euphrats!
Ihr Gassen von Palmyra!
Ihr Säulenwälder in der Ebne der Wüste,
Was seid ihr?
Euch hat die Kronen,
Dieweil ihr über die Grenze
Der Othmenden seid gegangen,
Von Himmlischen der Rauchdampf und
Hinweg das Feuer genommen;
Jetzt aber sitz ich unter Wolken (deren
Ein jedes eine Ruh hat eigen) unter
Wohleingerichteten Eichen, auf
Der Heide des Rehs, und fremd
Erscheinen und gestorben mir
Der Seligen Geister.
Der Winkel von Hardt

Hinunter sinket der Wald,
Und Knospen ähnlich, hängen
Einwärts die Blätter, denen
Blüht unten auf ein Grund,
Nicht gar unmündig
Da nämlich ist Ulrich
Gegangen; oft sinnt, über den Fußtritt,
Ein groß Schicksal
Bereit, an übrigem Orte.

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