Texte von Friedrich Hölderlin
«Bagatellen». Beethoven / Hölderlin – eine musikalische Begegnung
Mittwoch, 25. August2021 Lucerne Festival, Lukaskirche
Samstag, 28. Oktober 2023 Kongresshaus Zürich
Dienstag, 11. Juni 2024 Festival Sempach, reformierte Kirche
Michael Engelhardt Sprecher und Konzeption
Stefan Wirth Klavier und Konzeption
Mark Sattler Idee und Konzeption
Die vorgetragenen Texte (es wurde Hölderlins Rechtschreibung beibehalten):
Prolog
Eröffnung und Einstimmung. Stefan Wirth improvisiert dazu eine Begleitung, die ihr Material aus den Tönen B(eethoven) und H(ölderlin) gewinnt.
In lieblicher Bläue blühet mit dem metallenen Dache der Kirchthurm.
Den umschwebet Geschrei der Schwalben, den umgiebt die rührendste Bläue.
Die Sonne gehet hoch darüber und färbet das Blech, im Winde aber oben stille krähet die Fahne.
Wenn einer unter der Gloke dann herabgeht, jene Treppen, ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann des Menschen.
Die Fenster, daraus die Gloken tönen, sind wie Thore an Schönheit.
Nemlich, weil noch der Natur nach sind die Thore, haben diese die Ähnlichkeit von Bäumen des Walds.
Reinheit aber ist auch Schönheit.
Innen aus Verschiedenem entsteht ein ernster Geist.
So sehr einfältig aber die Bilder, so sehr heilig sind die, daß man wirklich oft fürchtet, die zu beschreiben.
Die Himmlischen aber, die immer gut sind, alles zumal, wie Reiche, haben diese, Tugend und Freude.
Der Mensch darf das nachahmen.
Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: so will ich auch seyn? Ja. So lange die Freundlichkeit noch am Herzen, die Reine, dauert, misset nicht unglüklich der Mensch sich der Gottheit.
Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? dieses glaub’ ich eher.
Des Menschen Maaß ist’s.
Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnet der Mensch auf dieser Erde.
Doch reiner ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen, wenn ich so sagen könnte, als der Mensch, der heißet ein Bild der Gottheit.
Giebt es auf Erden ein Maaß? Es giebt keines.
Nemlich es hemmen den Donnergang nie die Welten des Schöpfers.
Auch eine Blume ist schön, weil sie blühet unter der Sonne.
Es findet das Aug’ oft im Leben Wesen, die viel schöner noch zu nennen wären als die Blumen.
O! ich weiß das wohl! Denn zu bluten an Gestalt und Herz, und ganz nicht mehr zu seyn, gefällt das Gott? Die Seele aber, wie ich glaube, muß rein bleiben, sonst reicht an das Mächtige auf Fittigen der Adler mit lobendem Gesange und der Stimme so vieler Vögel.
Es ist die Wesenheit, die Gestalt ist’s.
Du schönes Bächlein, du scheinest rührend, indem du rollest so klar, wie das Auge der Gottheit, durch die Milchstraße.
Ich kenne dich wohl, aber Thränen quillen aus dem Auge.
Ein heiteres Leben seh’ ich in den Gestalten mich umblühen der Schöpfung, weil ich es nicht unbillig vergleiche den einsamen Tauben auf dem Kirchhof.
Das Lachen aber scheint mich zu grämen der Menschen, nemlich ich hab’ ein Herz.
Möcht’ ich ein Komet seyn? Ich glaube.
Denn sie haben Schnelligkeit der Vögel; sie blühen an Feuer, und sind wie Kinder an Reinheit.
Größeres zu wünschen, kann nicht des Menschen Natur sich vermessen.
Der Tugend Heiterkeit verdient auch gelobt zu werden vom ernsten Geiste,der zwischen den drei Säulen wehet des Gartens.
Eine schöne Jungfrau muß das Haupt umkränzen mit Myrthenblumen, weil sie einfach ist ihrem Wesen nach und ihrem Gefühl.
Myrthen aber giebt es in Griechenland.
Wenn einer in den Spiegel siehet, ein Mann, und siehet darinn sein Bild, wie abgemahlt; es gleicht dem Manne.
Augen hat des Menschen Bild, hingegen Licht der Mond.
Der König Oedipus hat ein Auge zuviel vieleicht.
Diese Leiden dieses Mannes, sie scheinen unbeschreiblich, unaussprechlich, unausdrüklich.
Wenn das Schauspiel ein solches darstellt, kommt’s daher.
Wie ist mir’s aber, gedenk’ ich deiner jetzt? Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich dahin, welches sich wie Asien ausdehnet.
Natürlich dieses Leiden, das hat Oedipus.
Natürlich ist’s darum.Hat auch Herkules gelitten? Wohl.
Die Dioskuren in ihrer Freundschaft haben die nicht Leiden auch getragen? Nemlich wie Herkules mit Gott zu streiten, das ist Leiden.
Und die Unsterblichkeit im Neide dieses Lebens, diese zu theilen, ist ein Leiden auch.
Doch das ist auch ein Leiden, wenn mit Sommerfleken ist bedekt ein Mensch, mit manchen Fleken ganz überdekt zu seyn! Das thut die schöne Sonne: nemlich die ziehet alles auf.
Die Jünglinge führt die Bahn sie mit Reizen ihrer Stralen wie mit Rosen.
Die Leiden scheinen so, die Oedipus getragen, als wie ein armer Mann klagt, daß ihm etwas fehle.
Sohn Laios, armer Fremdling in Griechenland! Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.
[ohne Titel, 1807]
In den Ausklang der Improvisation wird als zweiter Prolog-Text Die Linien des Lebens sind verschieden gesprochen.
Die Linien des Lebens sind verschieden
Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.
Was Hir wir sind, kan dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.
[ohne Titel, 1811]
Bagatellen
Sprache über Musik: Zu Beethovens G-Dur-Bagatelle op. 126 Nr. 1 werden zwei Gedichte Hölderlins rezitiert. Die Sprache scheint wie bei einem Melodram zur Musik «komponiert».
Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen,
Wo sich der Tag mit vielen Freuden endet,
Es ist das Jahr, das sich mit Pracht vollendet,
Wo Früchte sich mit frohem Glanz vereinen.
Das Erdenrund ist so geschmükt, und selten lärmet
Der Schall durchs offne Feld, die Sonne wärmet
Den Tag des Herbstes mild, die Felder stehen
Als eine Aussicht weit, die Lüffte wehen
Die Zweig’ und Äste durch mit frohem Rauschen
Wenn schon mit Leere sich die Felder dann vertauschen,
Der ganze Sinn des hellen Bildes lebet
Als wie ein Bild, das goldne Pracht umschwebet.
[Der Herbst, 1841]
Die Sonne kehrt zu neuen Freuden wieder,
Der Tag erscheint mit Strahlen, wie die Blüthe,
Die Zierde der Natur erscheint sich dem Gemüthe,
Als wie entstanden sind Gesang und Lieder.
Die neue Welt ist aus der Thale Grunde,
Und heiter ist des Frühlings Morgenstunde,
Aus Höhen glänzt der Tag, des Abends Leben
Ist der Betrachtung auch des innern Sinns gegeben.
[Der Frühling, 1843]
Sprache alleine:
Wenn aus der Tiefe kommt der Frühling in das Leben,
Es wundert sich der Mensch, und neue Worte streben
Aus Geistigkeit, die Freude kehret wieder
Und festlich machen sich Gesang und Lieder.
Das Leben findet sich aus Harmonie der Zeiten,
Dass immerdar den Sinn Natur und Geist geleiten,
Und die Vollkommenheit ist Eines in dem Geiste,
So findet vieles sich, und aus Natur das Meiste.
[Der Frühling, 1843]
Musik wird aufgebrochen mit Sprache: Beethovens Es-Dur-Bagatelle op. 126 Nr. 3 öffnet sich für Hölderlins Gedicht Der Spaziergang. Die Musik verklingt und fädelt sich gegen Ende des Gedichts wieder ein.
Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemahlt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Thale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt Einem das herrliche Bild
Der Landschaft, die ich gerne
Besuch’ in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Uns erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blizen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.
[Der Spaziergang, 1811]
Sprache alleine:
Wenn ich auf die Wiese komme,
Wenn ich auf dem Felde jezt,
Bin ich noch der Zahme, Fromme
Wie von Dornen unverlezt.
Mein Gewand in Winden wehet,
Wie der Geist mir lustig fragt,
Worinn Inneres bestehet,
Bis Auflösung diesem tagt.
O vor diesem sanften Bilde,
Wo die grünen Bäume stehn,
Wie vor einer Schenke Schilde
Kann ich kaum vorübergehn.
Denn die Ruh an stillen Tagen
Dünkt entschieden treflich mir,
Dieses mußt du gar nicht fragen,
Wenn ich soll antworten dir.
Aber zu dem schönen Bache
Such’ ich einen Lustweg wohl,
Der, als wie in dem Gemache,
Schleicht durch’s Ufer wild und hohl,
Wo der Steg darüber gehet,
Gehtʼs den schönen Wald hinauf,
Wo der Wind den Steg umwehet,
Sieht das Auge fröhlich auf.
Droben auf des Hügels Gipfel
Siz’ ich manchen Nachmittag,
Wenn der Wind umsaust die Wipfel,
Bei des Thurmes Glokenschlag,
Und Betrachtung giebt dem Herzen
Frieden, wie das Bild auch ist,
Und Beruhigung den Schmerzen,
Welche reimt Verstand und List.
Holde Landschaft! wo die Straße
Mitten durch sehr eben geht,
Wo der Mond aufsteigt, der blasse,
Wenn der Abendwind entsteht,
Wo die Natur sehr einfältig,
Wo die Berg’ erhaben stehn,
Geh’ ich heim zulezt, haushältig,
Dort nach goldnem Wein zu sehn.
[Das fröhliche Leben, 1811]
Der Dur-Teil aus Beethovens h-Moll-Bagatelle op. 126 Nr. 4 wird am Ende «geloopt» und
darüber Wenn aus dem Himmel hellere Wonne sich Herabgiesst gesprochen
Wenn aus dem Himmel hellere Wonne sich
Herabgießt, eine Freude den Menschen kommt,
Daß sie sich wundern über manches
Sichtbares, Höheres, Angenehmes,
Wie tönet lieblich heil’ger Gesang dazu!
Wie lacht das Herz in Liedern die Wahrheit an
Daß Freudigkeit an einem Bildniß.
Über dem Stege beginnen Schaafe
Den Zug, der fast in dämmernde Wälder geht.
Die Wiesen aber, welche mit lautrem Grün
Bedekt sind, sind wie jene Haide,
Welche gewöhnlicher Weise nah ist
Dem dunklen Walde. Da, auf den Wiesen auch
Verweilen diese Schaafe. Die Gipfel, die
Umher sind, nakte Höhen, sind mit
Eichen bedeket und seltnen Tannen.
Da, wo des Stromes regsame Wellen sind,
Daß einer, der vorüber des Weges kommt,
Froh hinschaut, da erhebt der Berge
Sanfte Gestalt und der Weinberg hoch sich.
Zwar gehn die Treppen unter den Reben hoch
Herunter, wo der Obstbaum blühend darüber steht
Und Duft an wilden Heken weilet;
Wo die verborgenen Veilchen sprossen
Gewässer aber rieseln herab und sanft
Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag;
Die Orte aber in der Gegend
Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.
[ohne Titel, 1809]
Sprache alleine:
Von einem Menschen sag ich, wenn der ist gut
Und weise was bedarf er? Ist irgend eins
Das einer Seele gnüget? ist ein Haben, ist
Eine gereifteste Reb’ auf Erden
Gewachsen, die ihn nähre? Der Sinn ist deß
Also. Ein Freund ist oft die Geliebte, viel
Die Kunst. O Theurer, dir sag ich die Wahrheit.
Dedalus Geist und des Walds ist deiner.
[An Zimmern, 1825]
Der Schlussvers überlappt sich mit dem Auftakt der G-Dur-Bagatelle op. 126 Nr. 5.
Sprache über Musik: Montage. Die Es-Dur-Bagatelle op. 126 Nr. 6 öffnet sich, Beethovens eigene Schnitttechnik aufgreifend, für Hölderlins Sprache.
Wie Menschen sind, so ist das Leben prächtig,
Die Menschen sind der Natur ofters mächtig,
Das prächt’ge Land ist Menschen nicht verborgen
Mit Reiz erscheint der Abend und der Morgen.
Die offnen Felder sind als in der Erndte Tage,
Mit Geistigkeit ist weit umher die alte Sage,
Und neues Leben kommt aus Menschheit wieder,
So sinkt das Jahr mit einer Stille nieder.
Mit Unterthänigkeit Scardanelli.
[Griechenland, 1843]
Nach dem Schlussvers, in die Musikfermate bei Doppelstrich T. 68: «Mit Unterthänigkeit, Scardanelli» – dann sofortiger Einbruch der «Presto»-Coda.
Epilog
attacca: Klaviergeräusche vom Schluss der eröffnenden Improvisation, dann Text:
Die Aussicht
Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben,
Wo in die Ferne sich erglänzt die Zeit der Reben
Ist auch dabei des Sommers leer Gefilde,
Der Wald erscheint mit seinem dunklen Bilde;
Dass die Natur ergänzt das Bild der Zeiten,
Dass die verweilt, sie schnell vorübergleiten,
Ist aus Vollkommenheit, des Himmel Höhe glänzet
Dem Menschen dann, wie Bäume Blüth’ umkränzet.